Mehr als ein Schmerzmittel: Dr. Hidayatov über die Vielfalt von Medizinalcannabis bei Epilepsie

Epilepsie ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen weltweit und geht oft mit erheblichen Schmerzen, Krampfanfällen und Einschränkungen im Alltag einher. Während klassische Antiepileptika für viele Patient:innen hilfreich sind, stoßen sie bei anderen an ihre Grenzen – sei es durch mangelnde Wirkung oder belastende Nebenwirkungen. In den letzten Jahren hat sich Medizinalcannabis als ergänzende Option etabliert. Dr. Akif Hidayatov, Facharzt für Anästhesie, Schmerztherapie und Notfallmedizin, berichtet aus seiner langjährigen Erfahrung, wie unterschiedlich Medizinalcannabis wirken kann, welche Einsatzmöglichkeiten es speziell bei Epilepsie gibt und was Patient:innen wissen sollten.

Dr. Hidayatov erklärt verschiedene Cannabis-Medikamente in einer hellen, modernen Praxis.

Medizinalcannabis: Ein Überblick über die Vielfalt der Formen und Wirkstoffe

„Cannabis ist kein neues Medikament – es wird seit über 6.000 Jahren vom Menschen genutzt“, erklärt Dr. Hidayatov. Was viele nicht wissen: Die Cannabispflanze enthält über 100 verschiedene Cannabinoide, von denen THC (Tetrahydrocannabinol) und CBD (Cannabidiol) die bekanntesten sind. Doch auch andere Substanzen wie Flavonoide und Terpene spielen eine Rolle.

Im medizinischen Alltag werden verschiedene Darreichungsformen genutzt:

  • Blüten: Sie werden meist inhaliert, wirken schnell, aber oft nur kurz und können psychoaktive Effekte haben.
  • Extrakte und Öle: Sie lassen sich präzise dosieren, wirken langsamer, aber dafür länger und werden bevorzugt bei chronischen Erkrankungen eingesetzt.
  • Kapseln, Tropfen, Sprays: Besonders geeignet für Patient:innen, die keine Inhalation wünschen oder vertragen.

Dr. Hidayatov betont: „Die Wahl der Form hängt immer von der individuellen Situation, der Erkrankung und den Bedürfnissen der Patient:innen ab. In der Schmerztherapie ist es wichtig, eine stabile, gleichmäßige Wirkung zu erzielen – deshalb setzen wir meist auf Extrakte oder retardierte Präparate.“

Das Endocannabinoid-System: Warum Cannabis bei Nervenerkrankungen wirkt

Der menschliche Körper verfügt über ein eigenes Endocannabinoid-System – ein Netzwerk von Rezeptoren, das an der Steuerung von Schmerz, Entzündungen, Stimmung, Schlaf und mehr beteiligt ist. „Alle Säugetiere haben dieses System“, erklärt Dr. Hidayatov.

Cannabinoide wie THC und CBD binden an diese Rezeptoren und entfalten so ihre Wirkung. „THC wirkt vor allem schmerzlindernd, muskelentspannend und appetitanregend, während CBD antientzündlich und krampflösend ist – letzteres ist speziell bei Epilepsie von Bedeutung.“

Einsatz von Medizinalcannabis bei Epilepsie: Wann, wie, für wen?

Nicht jede:r Epilepsie-Patient:in profitiert gleichermaßen von Medizinalcannabis. Dr. Hidayatov erläutert: „Wir setzen Cannabis vor allem dann ein, wenn klassische Medikamente nicht ausreichend wirken oder zu starke Nebenwirkungen verursachen.“ Besonders bei therapieresistenter Epilepsie – also wenn mehrere Medikamente erfolglos ausprobiert wurden – kann Cannabis eine zusätzliche Option sein.

Wichtig ist die individuelle Einstellung: „Jede Patientin, jeder Patient reagiert anders. Es gibt keine Standarddosis. Wir beginnen immer mit einer niedrigen Dosis und steigern langsam, um die optimale Wirkung bei möglichst wenigen Nebenwirkungen zu finden.“

Bei Kindern und Jugendlichen ist besondere Vorsicht geboten. „Hier gelten strengere Indikationsstellungen und Dosierungsempfehlungen. In Deutschland ist CBD für bestimmte Formen der kindlichen Epilepsie zugelassen und hat in Studien die Anfallshäufigkeit deutlich reduziert.“

Schmerzen bei Epilepsie: Ein oft unterschätztes Problem

Epilepsie ist nicht nur eine Erkrankung der Anfälle. Viele Betroffene leiden unter chronischen Schmerzen – sei es durch Muskelkrämpfe, Verspannungen nach Anfällen oder Begleiterkrankungen wie Migräne und Nervenschmerzen. Schmerz ist ein häufiger, aber oft übersehener Aspekt bei Epilepsie.

Hier kann Medizinalcannabis gleich mehrfach wirken: Es lindert nicht nur die Schmerzen selbst, sondern kann auch die Häufigkeit und Intensität der Anfälle beeinflussen. Zudem verbessert es häufig den Schlaf, was wiederum die Schmerzschwelle erhöht.

Praktische Erfahrungen aus der Schmerztherapie: Dosierung, Nebenwirkungen, Alltag

Dr. Hidayatov beschreibt, wie die Umstellung auf Medizinalcannabis in der Praxis abläuft: „Wir testen die ersten Einnahmen in einer geschützten Umgebung, beobachten die Wirkung und passen die Dosis individuell an. Besonders wichtig ist die Dokumentation."

Viele Patient:innen berichten, dass sie andere Medikamente reduzieren oder absetzen konnten. „Vor allem Opioide, die oft starke Nebenwirkungen haben, können durch Cannabis häufig ersetzt oder zumindest verringert werden. Das steigert die Lebensqualität enorm.“

Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen Müdigkeit, Mundtrockenheit oder leichter Schwindel. „Diese Symptome sind meist mild und verschwinden nach kurzer Zeit. Im Gegensatz zu klassischen Schmerzmitteln verursacht Cannabis keine Organschäden, keine Abhängigkeit im medizinischen Kontext und keine bekannten Todesfälle.“

Darreichungsformen: Welche Cannabisprodukte sind bei Epilepsie sinnvoll?

Die Auswahl des richtigen Präparats ist entscheidend für den Therapieerfolg. Dr. Haidayatov erläutert:

  • Extrakte: „Sie bieten eine gleichmäßige, gut steuerbare Wirkung und sind für die Dauertherapie am besten geeignet. Sie können individuell auf das Verhältnis von THC zu CBD eingestellt werden.“
  • Blüten: „Sie wirken schnell, sind aber weniger gut steuerbar und können psychoaktive Effekte haben. Bei Epilepsie sind sie daher eher die Ausnahme.“
  • Öle und Tropfen: „Sehr gut geeignet für Kinder und Menschen, die keine Inhalation wünschen.“

Die Zusammenarbeit mit spezialisierten Apotheken ist dabei wichtig. „Nicht jede Apotheke kennt sich mit Cannabis aus. Eine gute Beratung zu Dosierung, Wechselwirkungen und Anwendung ist unerlässlich.“

Unterschiede zu anderen Schmerzmitteln: Vorteile und Besonderheiten von Cannabis

Im Vergleich zu klassischen Schmerzmitteln wie Ibuprofen, Paracetamol oder Opioiden bietet Medizinalcannabis einige Vorteile:

  • Keine Organtoxizität: „Leber, Niere und Herz werden nicht geschädigt – auch bei Langzeitanwendung.“
  • Geringes Abhängigkeitspotenzial: „Im medizinischen Kontext ist die Gefahr einer Sucht sehr gering.“
  • Wenig Wechselwirkungen: „Cannabis interagiert kaum mit anderen Medikamenten.“
  • Breites Wirkspektrum: „Wir können nicht nur Schmerzen, sondern auch Schlafstörungen, Appetitlosigkeit und Krämpfe behandeln.“

Dr. Hidayatov betont: „Bei Epilepsie ist es besonders wichtig, Nebenwirkungen zu vermeiden. Viele klassische Medikamente machen müde, benommen oder beeinträchtigen die Konzentration. Cannabis kann hier eine schonendere Alternative sein.“

Herausforderungen in der Praxis: Bürokratie, Stigmatisierung, Aufklärung

Trotz der positiven Erfahrungen gibt es noch viele Hürden. „Die Bürokratie ist enorm. Der Antrag bei der Krankenkasse ist aufwendig, es braucht Gutachten und Geduld.“ Auch die gesellschaftliche Stigmatisierung ist ein Problem. „Viele Menschen, aber auch Kolleg:innen, denken bei Cannabis immer noch an Drogenmissbrauch. Dabei ist es ein zugelassenes Medikament mit klarem medizinischen Nutzen.“

Dr. Hidayatov sieht hier großen Aufklärungsbedarf: „Wir müssen zwischen Genussmittel und Medikament klar unterscheiden. Patient:innen wollen ihre Beschwerden lindern, nicht berauscht sein. Jede:r in Deutschland hat ein Recht auf Schmerzfreiheit – das ist sogar gesetzlich verankert.“

Wissenschaftliche Evidenz: Was die Studienlage zeigt

Die Wirksamkeit von Medizinalcannabis bei Epilepsie und chronischen Schmerzen ist wissenschaftlich gut belegt. Große Studien zeigen, dass CBD die Anfallshäufigkeit bei therapieresistenter Epilepsie deutlich senken kann. Auch bei chronischen Nervenschmerzen und Spastiken berichten viele Patient:innen von einer Verbesserung der Lebensqualität.

Dr. Hidayatov ergänzt: „Die Forschung steht nicht still. Immer mehr Cannabinoide werden untersucht, und wir lernen ständig dazu. Der sogenannte Entourage-Effekt – also das Zusammenspiel verschiedener Pflanzenstoffe – scheint eine wichtige Rolle zu spielen.“

Patientenorientierte Therapie: Zuhören, Vertrauen, gemeinsam entscheiden

Für Dr. Hidayatov steht der Mensch im Mittelpunkt. „Jede Therapie ist individuell. Wir hören zu, nehmen die Sorgen ernst und entscheiden gemeinsam, ob und wie Cannabis eingesetzt werden kann.“ Die partnerschaftliche Beziehung ist entscheidend für den Erfolg. „Viele Patient:innen sind sehr gut informiert, wissen genau, was sie schon ausprobiert haben. Das erleichtert die Therapieplanung.“

Er empfiehlt, offen mit dem Umfeld zu sprechen. „Wer ehrlich erklärt, warum er Cannabis nutzt, kann Vorurteile abbauen. Auch die Zusammenarbeit mit anderen Ärzt:innen, Apotheken und Angehörigen ist wichtig.“

Tipps für Patient:innen: So gelingt der Weg zur Cannabistherapie

Aus seiner Erfahrung gibt Dr. Hidayatov folgende Tipps:

  • Geduld haben: Der Weg zur Cannabistherapie ist oft lang und bürokratisch, lohnt sich aber.
  • Gut informieren: Seriöse Quellen nutzen, mit anderen Betroffenen sprechen, spezialisierte Ärzt:innen aufsuchen.
  • Antrag bei der Krankenkasse: Frühzeitig starten, alle Unterlagen sammeln, ggf. Unterstützung holen.
  • Individuelle Dosierung: Mit niedriger Dosis beginnen, langsam steigern, regelmäßig Rücksprache halten.
  • Offenheit im Alltag: Mit Familie, Freunden und Arbeitgebern sprechen, Vorurteile abbauen.

Fazit: Medizinalcannabis als Chance für Menschen mit Epilepsie und Schmerzen

Für Dr. Akif Hidayatov ist Medizinalcannabis eine wertvolle Ergänzung in der Schmerztherapie – besonders bei Epilepsie, wenn klassische Medikamente nicht ausreichen. Entscheidend sind eine individuelle, ärztlich begleitete Behandlung, fundierte Aufklärung und der offene Dialog über Chancen und Grenzen.

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